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zum Arbeitsfeld Kultur & Management

Distribution und Finanzierung von digitalem Kulturgut

Musik, Filme und Bilder, die mittels Künstlicher IntelIigenz produziert werden, sind die neuen Vergleichsprodukte und vielleicht die Konkurrenz des analogen Live-Moments? Christian Peukert ist Autor der Studie “The next wave of digital technological change and the cultural industries”.
Das SKM hat sich mit ihm über jüngste Tendenzen in der Kulturindustrie unterhalten.

 

SKM: Herr Peukert, Sie sind Ökonom. Warum interessieren Sie sich für die Kulturproduktion?

Christian Peukert: Das hat zum einen persönliche Gründe. Ich habe in meinen Jugendjahren Musik gemacht, hatte auch ein kleines Plattenlabel und habe dafür Grafiken gestaltet. Das Musikbusiness begann mich zu interessieren. Ich wollte wissen, wie Unternehmen funktionieren und beschloss, Wirtschaft zu studieren. Technologie und Musik, aber auch Filme haben mich immer interessiert und wurden zu meinem Forschungsthema.

Sie haben kürzlich die Studie publiziert, die eine Digitalisierungswelle in der Kulturindustrie ankündigt. Wie müssen wir uns diese Welle vorstellen?

Daten werden zunehmend wichtig. Daten werden einerseits gesammelt, um Produkte besser an die Kunden zu bringen. Das kennt man vom Online-Handel, wo uns beim Aufrufen von Webseiten Produkte vorgeschlagen werden, die uns interessieren oder ästhetisch ansprechen könnten. Ein Beispiel aus der Musikindustrie sind die Playlisten auf Spotify, die nach Ihren persönlichen Vorlieben zusammengestellt werden.

Der Unterschied zu dieser ersten digitalen Welle ist, dass Computer und Algorithmen heute vermehrt Daten benutzen, um daraus etwas Neues zu generieren. Der nächste Schritt ist also, wie man aus den Daten, die man aus den Präferenzen gewonnen hat, Produkte generiert. In Zukunft werden Sie auf der Plattform Spotfy nicht nur Playlisten zusammengestellt bekommen, sondern auch eigens für Sie komponierte Musik finden.

Gerade im Medienbereich ist es einfach, für die grosse Masse zu personalisieren, weil Musik, Bücher, Filme, Nachrichten etc. im Grunde nur aus Information, also Daten, bestehen. Das ist natürlich keine Hochkultur. Man kann sich aber vorstellen, dass das in zehn Jahren auch auf anspruchsvollere Musik anwendbar wird oder auch auf Filme. Algorithmen zum Beispiel, die jetzt schon fotorealistische Bilder erzeugen können, haben ein hohes Personalisierungspotenzial. Diese Produkte werden also wie ein Massanzug noch mehr auf Sie persönlich zugeschnitten sein.

Obwohl ich einen Massanzug gerne trage, bin ich mir bei massgeschneiderter Musik nicht so sicher. Befinde ich mich damit nicht in einer kulturellen Filterblase bzw. bekomme ich nicht einfach mehr vom Gleichen?

Wie sich verhindern lässt, dass Algorithmen, die eigentlich Ihren Geschmack abschätzen sollen, zu einer self fulfilling prophecy werden, ist ein grosses Thema. Eine Massnahme ist, ab und zu etwas gegen Ihre Präferenzen einzuspielen. Algorithmen könnten so testen, wie Sie darauf reagieren und das Angebot dementsprechend erweitern.

Der Markt der Kulturindustrie richtet sich vermehrt nach persönlichen Vorlieben, die über Algorithmen errechnet werden. Welche Auswirkungen hat das auf die Autorschaft von Musikstücken, wenn meine eigenen Präferenzen für die Komposition ausschlaggebend sind?

Um die richtigen Anreize zu setzen, wird es wichtig sein zu klären, wem die Urheberrechte von einem Werk, das von KI erschaffen wurde, zustehen sollten. Demjenigen, der die KI bzw. den Algorithmus programmiert hat? Demjenigen, dem die Daten gehören auf Basis derer die KI gelernt hat, wie ein «gutes» Musikstück klingen muss? Demjenigen dem der Server gehört, auf dem die KI Software läuft? Demjenigen, der die KI Software lizensiert hat, also z.B. Spotify? Hier gibt es Parallelen zur Regelung im heutigen Urheberrecht. Was aber aktuell rechtlich nicht geht, ist, dass die KI selbst Urheber ist. Das kann aber durchaus eine sinnvolle Anreizwirkung haben. Ein autonomes, selbstlernendes System hat ja auch Kosten, einerseits direkt im Sinne von Strom oder Speicherplatz, anderseits indirekt im Sinne von Opportunitätskosten. Anstatt Songs zu komponieren, könnte das System seine Ressourcen ja nutzen, um andere Probleme zu lösen. Eine Art Urheberrecht, das die «guten» Erfindungen belohnt, bildet dann die Grundlage einer Kosten-Nutzen-Abwägung, und gibt der KI einen Rahmen zu entscheiden, woran sie arbeiten sollte. Das klingt abstrakt, ist aber im Grunde die gleiche Überlegung, die seit jeher hinter dem Urheberrecht und Patentsystem steckt.

Wenn beispielsweise ein Kunstprodukt mit KI für mich hergestellt wird, hat es für mich einen individuellen Wert. Was bedeutet das aber für den Markt? Verliert das Produkt ohne künstlerische Schöpfer nicht auch seinen Markt und damit seinen monetären Wert?

Das ist eine gute Frage. Ein Teil des Werts kann schon von einem gewissen Markennamen kommen. Aber wer sagt, dass eine KI nicht auch ein Popstar werden kann? Abgesehen davon würde ich so argumentieren: Der Wert, den eine Sache für Sie hat, kommt daher, wieviel Nutzen oder Freude Sie aus der Sache ziehen können. Wenn Sie viel Nutzen daraus ziehen können, werden Sie auch entsprechend bereit sein dafür Geld auszugeben. Ohne Personalisierung bleibt nur der «Einheitsbrei», der allen weniger Freude macht und entsprechend weniger wert ist.

Sie sagen, die Produktion in der Musikbranche werde insgesamt günstiger.

In der Musikbranche sind die Aufnahmegeräte und Mischpulte bereits so weit entwickelt, dass ich heute kein Tonstudio mehr brauche, um meine Songs aufzunehmen. Der Vertrieb ist über Social Media und Online-Kanäle inzwischen auch deutlich günstiger geworden, klassische Plattenfirmen werden immer unwichtiger. Studien zeigen, dass heute etwa sechsmal mehr Musik über die unabhängigen Indie-Labels auf den Markt kommt als noch vor zwanzig Jahren.

Wie sieht das bei der Wertschöpfung aus? Wenn ich ein komponiertes Musikstück verwerten möchte, erhalte ich als Urheberin oder Urheber bei Spotify gerade mal 0,03 Cent pro Zugriff. Das ist extrem wenig.

Die Art und Weise, wie Kreative entlöhnt werden, hat sich verändert. Früher verkauften Sie eine CD und bekamen den Erlös unabhängig davon, wie oft die CD abgespielt wurde. Heute wird pro Song bezahlt. Studien zeigen, dass im neuen System, im Durchschnitt, am Ende gleich viel (oder: gleich wenig) herauskommt.

Bleibt für Bands noch der Live-Auftritt. Oder gibt es andere neue Verdienstmöglichkeiten oder Chancen, die die digitale Vernetzung ermöglicht?

Anteile von Werbeeinnahmen, zum Beispiel von YouTube Videos, sind eine Geldquelle, die es vor ein paar Jahren noch nicht gab. Zudem gibt es jetzt auch Crowdfunding-Plattformen wie Patreon, wo man als Fan die Künstler direkt unterstützen kann.

Sie haben sich vorwiegend mit der Musikindustrie beschäftigt. Wie sieht es in anderen Sparten aus, zum Beispiel im Verlagswesen?

Im Verlagswesen gibt es die gleiche Dynamik. Es kommen etwa dreimal mehr Bücher pro Jahr auf den Markt als noch vor zwanzig Jahren. Die meisten davon werden auf Self-Publishing-Plattformen veröffentlicht, was den Wettbewerb schürt. Autoren haben eine bessere Verhandlungsbasis, wenn sie mit traditionellen Verlegern verhandeln. Verleger beobachten die Zunahme an Online-Publikationen ihrerseits, um Ausschau zu halten nach Autorinnen und Autoren, die sie unter Vertrag nehmen könnten.

Welche Trends zeichnen sich in diesem Bereich ab?

In den USA hat der Bereich Romance Hochkonjunktur. Liebesromane gab es vorher auch, aber nicht in dieser Menge. 80 Prozent der Bücher auf Self-Publishing-Plattformen gehören dieser Kategorie an. Romance-Autoren, gerade in den USA, gründen Clubs und unterstützen sich gegenseitig auf Bewertungsplattformen. Es ist eine starke, mit der Leserschaft verbundene Community. Diese möchte erfahren, was es Neues von ihren favorisierten Autorinnen gibt und welche Nachwuchsautoren lesenswert sind.

Die Corona-Krise wird der digitalen Transformation einen weiteren Schub verleihen. Wie können sich die klassischen kulturellen Anbieter wie Theater, Museen und Konzerthallen Ihrer Meinung nach zu dieser Entwicklung positionieren?

Not macht erfinderisch und viele Anbieter nutzen die Corona-Krise, um digitale Formate zu testen. Technoclubs streamen DJ Sets, es gibt Unplugged-Konzerte auf Instagram. Nicht alles wird sich genauso etablieren, aber ich denke, wir werden mehr hybride Angebote sehen. Manche Veranstaltungen, die sonst für ein begrenztes Publikum physisch erlebbar waren, wird es vielleicht zusätzlich als Live-Stream geben. Ich bin gespannt, unter welchen Bedingungen sich so zusätzliche Märkte erschliessen lassen.

Fingerabdruck- und Gesichtserkennung, Standort- und Datentracking, Datenspeicherung in der Cloud. Der gläserne Kunde ist längst Realität. Gebührt unseren Daten nicht auch ein Urheberschutz, der sich auch monetär verwerten liesse?

Ja, das könnte man durchaus überlegen. Man kann argumentieren, dass wir für unsere Daten ja auch eine Gegenleistung bekommen. Eine Google-Suche kann ja durchaus leichter und in manchen Bereichen hilfreicher sein, als in der Bibliothek die Schlagwörter-Kartei durchzublättern. Oft funktioniert der Markt hier nicht gut, was zurecht auch Regulierungsbehörden auf den Plan ruft. Wir haben ja vorhin über personalisierte Kunst gesprochen – die ist ohne persönliche Daten nicht möglich. Je nachdem wieviel Nutzen oder Freude mir das bereitet, kann ich abwägen, ob und unter welchen Voraussetzungen es mir die Aufgabe eines Stücks Privatsphäre wert ist. Viele Menschen sagen zwar, dass ihnen ihre Privatsphäre wichtig ist, geben dann aber dennoch viele persönliche Daten preis. Die Fachliteratur spricht vom “Privacy Paradox”. Wie man dieses Spannungsfeld am besten lösen kann ist offen. Zielgerichtete Anreize und Marktdesign scheinen mir sympathisch, da ist die Forschung aber noch relativ am Anfang.

Wie betrachten Sie die Entwicklung als Privatperson?

Was mir Sorgen macht sind die Konzentrationstendenzen. Es gibt viele Inhalte auf verschiedenen Plattformen, die gut sind und Wert stiften, aber auf der anderen Seite diktieren zwei, drei Grossunternehmen, wie das System genau funktioniert. Auf der einen Seite sehe ich die Vorteile, aber ich sehe gegenwärtig nicht, wie man auf anderem Wege die Vorteile behalten und die Nachteile verringern kann.

 

Interview: Manuela Casagrande