Die Kulturbranche wurde von der Corona-Krise hart getroffen. Wochenlang war im Bereich Veranstaltungen, aber auch hinsichtlich Proben und gemeinsamem Arbeiten fast nichts möglich. Das kann auch an der Kulturförderung nicht spurlos vorübergehen. Das SKM fragt die Spezialistin Elisa Bortoluzzi Dubach nach den Auswirkungen der Pandemie insbesondere auf die Kulturfinanzierung.
SKM: Sie haben einschneidende Veränderungen in den letzten Monaten auch als Expertin für Kulturfinanzierung wahrgenommen. Wo meinen Sie ist die Not besonders gross?
Elisa Bortoluzzi Dubach: Es besteht kein Zweifel, dass die Krise auf mehreren Ebenen tiefgreifende Auswirkungen hatte: auf wirtschaftlicher und psychologischer Ebene. Wir wurden monatelang mit Nachrichten konfrontiert, die Angst und Verunsicherung verursachten. Ein Ende ist im Moment nicht absehbar, zumal die Krise auch im Ausland nicht überstanden ist. Das beeinflusst das Verhalten der Kulturbesucher. «Kulturschaffende selbst sind per definitionem mit einer arbeitsamen Einsamkeit konfrontiert, die umso schwieriger wird, wenn keine Möglichkeit besteht, der Welt die Früchte eines kreativen Engagements zu präsentieren.» Wie Massimo Zicari, Dozent für Musikwissenschaften an der Musikhochschule Lugano im Corriere dell’Italianità richtigerweise erwähnt, ist dies nicht nur eine Frage des Einkommens, sondern auch eine Frage der Identität. Wir haben also eine Künstlerwelt, die ihre eigene Identität nicht angemessen zum Ausdruck bringen kann, wir haben ein Publikum, das noch nicht bereit ist, Kultur zu geniessen und wir haben viele Freischaffende, die im Moment keine Arbeit finden.
Der Kunst- und Kulturbetrieb leidet als Ganzes, und die Krise hat gezeigt, wie fragil die wirtschaftliche Basis des Kulturbetriebes geworden ist. Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen und bestehende Modelle der Kulturfinanzierung gründlich überdenken, neue Wege finden, die der Kultur in der Schweiz nachhaltig helfen. Dies ist eine Aufgabe für den Staat, für die Privaten, für die gesamte Zivilgesellschaft.
Wie unterscheiden sich die Einschnitte bei Kulturveranstaltern von denjenigen bei Kulturschaffenden, den künstlerisch Tätigen in verschiedenen Sparten?
Die Kulturveranstalter sind mit einer Reihe von Unwägbarkeiten konfrontiert: mit dem Mangel an Planungssicherheit, der Beschränkung von Teilnehmerzahlen, sich verändernden Sicherheitsbestimmungen sowie mit der Schwierigkeit, die Reaktion des Publikums vorwegzunehmen. Damit wird auch die finanzielle Planung ausserordentlich anspruchsvoll und für verschiedene Veranstalter zur Existenzfrage. Neue Formen von Veranstaltungen sind nach wie vor schwierig und vermögen die traditionellen Konzerte, Veranstaltungen und Events nicht zu ersetzen. Damit wird die Krise zur unternehmerischen Herausforderung. Zudem scheint mir persönlich die Situation besonders schwierig für jene Kulturdisziplinen, die eine Bühne brauchen. Ein Konzert z.B. mit grossen Sicherheitsabständen zwischen Musikern und im Publikum wird niemals das Erlebnis bieten, das wir uns gewohnt waren. Und obwohl die Digitalisierung von Kunst schon vor der Krise ein Thema war, ist die Online Übertragung von Konzerten und kulturellen Veranstaltungen auf Dauer keine befriedigende Alternative.
Für viele Kulturschaffende besteht die Herausforderung darin, die Krise finanziell durchzustehen und ihre Lebensweise allenfalls anzupassen. Konkret geht es auch darum, das eigene Angebot zu überdenken und wenn notwendig zu ändern. Künstler und Kulturschaffende sind deshalb besonders gefordert, innovativ und mutig neue Wege zu suchen, auch unter schwierigen Rahmenbedingungen ihre Kunst zum Publikum zu bringen. Konkret geht es darum, sich neue Kenntnisse anzueignen, den eigenen kulturellen Beitrag allenfalls neu zu erfinden.
Wie lange werden nach Ihrer Einschätzung die Auswirkungen des Lockdowns andauern, auch wenn jetzt nach und nach wieder Veranstaltungen möglich werden?
Geht man davon aus, dass es im Herbst keine weitere Welle von Covid 19 Infektionen gibt, wird es mindestens ein Jahr dauern, bis sich die Lage wieder erholt. In der Zwischenzeit sollte bei der Unterstützung sicher ein Schwergewicht auf die Wiederaufnahme von Veranstaltungen gelegt werden und es ist sicher richtig, einzelne Freischaffende gezielt mit Nothilfe zu unterstützen.
Was bräuchten die Betroffenen an Werkzeug und Wissen, um in dieser Lage Hilfe zu erhalten?
Die Situation ist im Moment äusserst dynamisch: Viele Institutionen bieten Hilfe und Unterstützung an. Allerdings ist es nicht ganz einfach, sich zu orientieren. Ich halte es deshalb für wichtig, dass sich Kulturschaffende aktiv informieren und gegebenenfalls zusätzliches Wissen aneignen. Dazu gehören:
· Werkzeuge, um die eigenen Projekte zu dokumentieren und zu kommunizieren. Ich denke dabei vor allem an die Fähigkeit, Vorhaben zu planen, ihre Kosten zu antizipieren und in einem Finanzplan darzustellen etc.
· Zugriff auf Quellen der Finanzierung eigener Projekte und Informationen zur Unterstützung in der EU, bei Bund, Kantonen, Gemeinden etc.
· Grundkenntnisse des Fundraisings unter besonderer Berücksichtigung von Themen wie individuelles Fundraising und Crowdfunding. Einen Überblick zu haben über Stiftungen und Möglichkeiten der Unterstützung durch Mäzene (mit Zahlen, Daten, Akteuren) ist ebenfalls hilfreich.
Damit wird eine Grundlage geschaffen, um schnell wieder aktiv und handlungsfähig zu werden.
Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten der kulturfördernden Stiftungen, die Akteure und die Branche als Ganzes zu unterstützen?
Ich denke, es gibt verschiedene Massnahmen: Kurzfristig erachte ich die Vorschläge im neulich veröffentlichten Reimagining European Philanthropy Bericht interessant.
Förderstiftungen sollten ihre Arbeitsweise neu überdenken: Stiftungen brauchen ein höheres Mass an Flexibilität und Geschwindigkeit, um auf die laufenden Veränderungen und Herausforderungen in ihren programmatischen Bereichen zu reagieren. Die neue Situation erfordert mehr Transparenz über die Inhalte der Förderung, schnellere Prozesse, raschere Entscheidungen und substantielle Vereinfachungen für Antragsteller.
Als Schlüsselakteure der Förderung im kulturellen Bereich sollten die Stiftungen ihr Wissen teilen und weiter aktualisieren. Das erreichen sie, indem sie die Zusammenarbeit in nationalen und internationalen Netzwerken verstärken. Langfristig sehe ich Möglichkeiten für bestimmte Bereiche der Kultur in einer ‹systemischen Philanthropie›. Im Unterschied zur traditionellen Philanthropie arbeitet die systemische Philanthropie mit folgenden Elementen: Sie zielt nicht so sehr auf die Symptome eines Problems ab, sondern auf seine Ursachen. Um dies effizient zu tun, wendet sie einen langfristigen multidisziplinären Ansatz zur Lösung von Problemen an und bindet alle betroffenen Stakeholder zur Analyse, Zieldefinition und Problemlösung ein. Die Philanthropie kann dazu Risikokapital, Kompetenzen und Humanressourcen bereitstellen. Anstatt einzelne Probleme zu lösen, werden Problemkreise ganzheitlich analysiert und gemeinsam mit allen relevanten Akteuren einer Lösung zugeführt. Ich denke, das sollten wir prüfen, um neue Visionen für die Kultur und deren Finanzierung zu initiieren.
Interview: Franziska Breuning