Wohin geht’s? Positionen und Beiträge
zum Arbeitsfeld Kultur & Management

Meister*innen der Zwischenräume – zehn Thesen für eine Kulturarbeit in neuen Räumen

Aufbauend auf dem Essay »Meister*innen der Zwischenräume« aus dem Jahr 2014 (erschienen in Swiss Future) und zahlreichen Folgepublikationen sowie Übersetzungen in sechs Sprachen, haben die beiden Autoren Patrick S. Föhl und Gernot Wolfram während der Corona-Krise noch einmal ihre Positionen einer Revision unterzogen. Dabei werden bisherige Rollenbeschreibungen von Kulturmanager*innen nicht ersetzt, sondern erweitert und ergänzt. Hierfür wurden zehn Thesen formuliert, welche die Rolle von Kulturmanager*innen in einem sich ständig verändernden Umfeld reflektieren.

 

Aus welcher Haltung heraus können kulturelle Szenen dramatischen Krisen begegnen? Was muss sich ändern, damit es nicht mehr zu Diskussionen kommt, ob Kultur »systemrelevant« ist oder nicht (was als Frage schon viel Ignoranz offenbart und andersherum als Postulat ohne Evidenz ebenso wirkungslos bleibt)? Statt eines Krisenmodus wird eine Ausweitung der Aufgaben und Chancen für Kulturmanager*innen vorgeschlagen, das Agieren in Zwischenräumen, in neuen Konstellationen und mit neuen Kooperationsformen. Dabei soll auch deutlich werden, dass es um ein verändertes politisches Verständnis geht. Kritische Distanz zu Entscheidern und permanenten Einflussnahmen sind essentiell. Aber auch ein neues Verständnis von kooperativer Kulturverwaltung kann helfen wie ein fundiertes Engagement für die Eigenlogik künstlerischer Prozesse. Die Meister*innen der Zwischenräume denken Politik und kulturelle Entwicklung wieder stärker als Möglichkeit, separierte gesellschaftliche Bereiche näher aneinander zu rücken. Die zehn Thesen verstehen sich hierbei als Vorschläge, nicht als Setzungen. Sie sind als Anregung zur weiteren Diskussion gedacht:

1.     Meister*innen der Zwischenräume sind Kulturmanager*innen, die kulturelle Arbeit organisieren, gestalten, vermitteln und mit anderen gesellschaftlichen Feldern verbinden. Als Zwischenräume werden jene kooperativen Handlungsbereiche verstanden, welche noch keine klare Definition besitzen, da sie erst durch den Prozess der Kooperation zu neuartigen organisationalen und künstlerischen Positionen finden. Beispiele sind neue Verbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft, Kultur und Bildung, Kultur und digitaler Transformation, Kultur und Stadtentwicklung oder Kultur und sozialer Arbeit. Eine wichtige Aufgabe ist dabei das Aufbrechen vorhandener »Silos« bzw. »Blasen«, um kollaborative Arbeit zu ermöglichen, die über den eigenen Tellerrand hinausgeht.

2.     Meister*innen der Zwischenräume können helfen, neue Relevanz für kulturelle Arbeit zu erzeugen, indem sie bestehende Strukturen stärken und zugleich Lösungen in Krisen (Stichwort Corona) anbieten, ohne auf normative Handlungsmuster zu setzen. Sie agieren als kritische Begleiter*innen in künstlerischen Prozessen und nehmen gegenüber Politik, Wirtschaft sowie Gesellschaft eine Moderationsrolle ein. Potentiale zu erkennen für neue Kooperationsformen gehört zu ihren zentralen Befähigungen.

3.     Meister*innen der Zwischenräume können helfen, künstlerische Prozesse noch stärker zu demokratisieren. Sie ermöglichen Teilhabe, indem sie Räume und Strukturen auf ihre Durchlässigkeit für verschiedene gesellschaftliche Gruppen befragen und wo möglich verändern und öffnen.

4.     Kunst und künstlerische Prozesse haben in der Arbeit der Meister*innen der Zwischenräume das Primat vor genuin politischen, ökonomischen und sozialen Perspektiven, d.h. Kultur darf nicht zum alleinigen Vehikel von gesellschaftlichen Themen werden, sondern der Ausgangspunkt sind immer spezifische Aushandlungsformen künstlerischer Fragestellungen.

5.     Kulturelle Zwischenraumarbeit kann Netzwerke fördern und neu verbinden, welche schon vorhanden sind, aber erst später sichtbar werden. So haben sich innerhalb von Stadtsoziologie, Urban Planning und Stadtentwicklung bereits seit vielen Jahren umfangreiche Netzwerke zum Beispiel in Form von Nachbarschaftsinitiativen, Bürgerbegehren und digitalen Communities gebildet, welche immer wieder auf künstlerische Handlungsformen zurückgreifen. Hier gilt es, das Nachdenken über gutes Leben in den Städten in seiner ganzen Fülle, Kreativität und Kooperationsfähigkeit sichtbar zu machen.

6.     Meister*innen der Zwischenräume sind während und nach der Corona-Krise mehr denn je als Vermittler*innen und Mediator*innen gefragt. Vor dem Hintergrund der in allen gesellschaftlichen Feldern dominierenden Transformationsparadigmen fungieren sie als konstruktive Begleiter*innen, um Beziehungen zu ermöglichen, und lenken immer wieder den Blick auf die (Nicht-)Sinnhaftigkeit eines Veränderungsvorhabens. Dabei steht das Fragenstellen mehr denn je im Mittelpunkt – ohne den Druck, jeweils umgehend Antworten finden zu müssen. Kommunikation und Ausprobieren werden als Werte an sich anerkannt.

7.     Meister*innen der Zwischenräume können Kulturakteur*innen dabei unterstützen, wichtige Lernerfahrungen der vergangenen Monate der Corona-Krise zu bewahren und für die nächsten Jahre nutzbar zu machen. Im Mittelpunkt steht hierbei unter anderem der Ausbau analog-digitaler Strategien.

8.     Die Corona-Krise hat als Katalysator mehr denn je gezeigt, dass zahlreiche Menschen keinen Zugang zu Kultur gefunden haben oder sich nicht willkommen fühlen. Zugleich führen die Schliessungen, Beschränkungen und die bestehende Ansteckungsgefahr dazu, dass viele Einrichtungen Gefahr laufen, auch bestehendes Publikum längerfristig zu verlieren. Meister*innen der Zwischenräume können zentral daran mitwirken, alte Audience Development-Ansätze zu überwinden und neue Formen des Community und Audience-Buildings, vor allem auch ausserhalb der Institutionen, zu entwickeln. Die Themen Dezentralität, Transkulturalität und aufsuchende Kulturarbeit sind hier von besonderer Bedeutung.

9.     Auf der permanenten Suche nach dem Neuen leidet die Wertschätzung des Vorhandenen. Meister*innen der Zwischenräume kommt eine Vermittler*innen-Rolle zu, bestehende Strukturen und ihre Bedeutung transparent zu machen – auch als Start- und Ankerpunkte für neue Formen der Zusammenarbeit.

10.  Die Corona-Krise hat eindringlich vor Augen geführt, welche Themen in der Vergangenheit zwar immer wieder diskutiert, aber mangels Druck oder aufgrund grosser Komplexität, nie richtig und ernsthaft umgesetzt wurden. Die Konzeptionen einer »nachhaltigen Entwicklung« oder etwa eines »New Green Deal« stehen dafür exemplarisch. Meister*innen der Zwischenräume sind wichtige Schlüsselakteur*innen, um diese Ansätze für den Kulturbereich zu konkretisieren bzw. zu gestalten und ins Zentrum kultureller Arbeit zu stellen.