Aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums reflektieren wir die Erfahrungen in der Corona-Krise. Mit geschärftem Blick auf die sogenannte Normalität galt es am 20. August, künftige Anforderungen an die Kulturarbeit zu diskutieren.
«Umbruch» hiess das Thema, welches wir uns im letzten Jahr für das Jubiläum gesetzt hatten: Umbruch im Sinne immer neuer Voraussetzungen, auf die sich auch die Akteurinnen und Akteure der Kulturwelt einzulassen haben. Veränderungen namentlich durch gesellschaftliche und soziale Entwicklungen, durch Globalisierung und Digitalisierung liessen die Welt sich immer schneller drehen und erforderten in jüngster Zeit laufend Anpassungen auf Seiten derer, die Kultur gestalten und ermöglichen.
Seit dem Frühjahr jedoch erleben wir einen veritablen Umbruch – einen Einschnitt, der die bisherigen Veränderungen als müde dahinschleichenden Wandel erscheinen lässt. Nach der ersten Schockstarre, den abrupten Absagen unzähliger Veranstaltungen und Projekte, wird im Kultursektor klar, dass die gegenwärtige Pandemie nicht nur eine kurzfristige Krise ist, sondern den Kultursektor nachhaltig verändern wird. Kultur lebt vom Live-Erlebnis, von Begegnung und Austausch. Was bleibt, wenn Produktionen abgebrochen werden müssen, wenn Schutzkonzepte nur die Hälfte der Gäste zulassen und Einnahmen wegfallen? Wie viel von unserem bisher reichen Kulturschaffen wird bis nächstes Jahr weiter existieren können? Wie gehen Kulturanbieter*innen mit der Planungsunsicherheit um und wo entdecken sie neue Möglichkeiten?
Die Jubiläumsveranstaltung des SKM vom 20. August 2020 war Anlass, sich mit den Podiumsgästen und dem Publikum diesen Fragen aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. Zum Auftakt sprach die SRF-Journalistin und Moderatorin Ellinor Landmann mit dem Fotografen Fabian Biasio über seine Fotoserie Pandemie 2020 sowie mit der Künstlerin Carmen Weisskopf von der !Mediengruppe Bitnik. Fabian Biasio berichtete über den Rückzug ins Private und den Versuch, über aufmerksame Beobachtungen im Alltag das Unsichtbare fotografisch zu fassen und über Risse in unserer gefühlten Sicherheit.
Mit dem digitalen Raum, der während des Lockdowns zum rettenden Fluchtort mutierte, beschäftigt sich Carmen Weisskopf von der !Mediengruppe Bitnik seit geraumer Zeit. Im Gespräch mit der Moderatorin stellte sie die humorvollen künstlerischen Interventionen Odds without ends innerhalb der Plattform Ebay-Kleinanzeigen vor. Vielleicht sei jetzt auch der Zeitpunkt gekommen, die Kunst im Netz, die seit zwanzig Jahren brachliege, neu zu entdecken? Mit der gesteigerten Sensibilisierung für das Digitale würden sich die Menschen vermehrt an der Diskussion beteiligen, in welcher Welt wir leben wollen und wie wir Grenzen zwischen Privat und Öffentlich gestalten, wo der Zugang zu Information in ein System der Überwachung zu kippen droht.
Beim radiophilen «Kulturstammtisch» diskutierte Eric Facon mit den Journalist*innen Mikael Krogerus und Martina Rutschmann darüber, inwiefern Corona für die Kultur ein Prüfstein sei. Der Blick richtete sich dabei auf die Folgen der Krise für die Kulturakteure, aber auch darauf, wie Corona die Kulturnutzung und das Alltagsleben verändert hat. Wie soll man als Kulturanbieterin auf die Situation reagieren? Diese Kernfrage führte zunächst zu zahlreichen digitalen Vermittlungsformaten. Nur: Wollen wir als Kultur-Rezipientinnen und -Nutzer zu einer Zeit, in der bereits Begegnung und Austausch im beruflichen und privaten Alltag mittels Online-Konferenzen stattfinden, abends auf dem Bildschirm Theater schauen? Oder gar Rockkonzerte Zuhause erleben und anschauen? Möglicherweise, so die Diskutierenden, sind die Gewinner in dieser Zeit Audioprojekte, weil dort keine visuelle Überlastung einsetzt. Die ganze Diskussion ist nachzuhören im Podcast auf kulturstammtisch.ch
Als eine erste Massnahme rief die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia bereits im Frühjahr das Förderprogramm «Close Distance» ins Leben – mit riesiger Resonanz. Im Interview mit dem Journalisten Eric Facon berichtete Seraina Rohrer, Leiterin Innovation und Gesellschaft, dass rund 600 Projektideen bei Pro Helvetia eingegangen seien. Dabei kam bei Weitem nicht nur Ideen aus dem Bereich des Digitalen. Vielmehr gab es zahlreiche Projektideen mit ganz unterschiedlichen Zugangsweisen dazu, wie trotz erzwungener Distanz zwischen Künstler*innen und Publikum Nähe und Austausch entstehen können. Interessanterweise sind bei diesem Programm die Förderkriterien extrem weit gefasst, doch in einem Punkt gibt es eine klare Leitlinie: Es soll keine Gratiskultur gefördert werden. Gerade in dieser Hinsicht wurde klar, dass blosses «Zur-Verfügung-Stellen» nicht die Antwort sein kann. Vielmehr wird es neue Geschäftsmodelle geben müssen, um nicht via Internet der Gratiskultur Tor und Tür zu öffnen.
Zurück zur Normalität?!
Zu welcher Normalität wollen und können wir zurück? Was ist gerade jetzt wichtig, welche Probleme gilt es zu lösen und wo sind wir angehalten, Kulturarbeit neu zu denken? Zu diesen Fragen äusserten sich in der dritten Gesprächsrunde Daniel Fontana, Veranstalter der Bad Bonn Kilbi, Nadine Wietlisbach, Direktorin Fotomuseum Winterthur und Philippe Bischof, Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.
Die letzten Monate waren für alle Beteiligten sehr arbeitsintensiv. Hilfsmassnahmen mussten koordiniert, Konzerte und Ausstellungen mussten abgesagt und verschoben werden. Und auch jetzt würden Schutzkonzepte für alle Beteiligten viel Mehraufwand bedeuten. Gesprächsthema auf dem Podium sind auch schnell die Finanzen. Öffentlich subventionierte Institutionen seien zwar in gewissem Sinne privilegiert, dennoch müssten auch sie für die Ausstellungsprojekte zwei Drittel der Einnahmen selbst generieren. Wie Stiftungen und Sponsoren unter den gegebenen Umständen agieren würden, sei noch schwer abzuschätzen.
Daniel Fontana konnte im Lockdown auf die Solidarität der Festivalbesucher*innen zählen, da Tickets nicht rückerstattet werden mussten (das Festival ist zu 90% eigenfinanziert). Zusammen mit Reserven und Fördergeldern konnte so auch Geld an Musiker*innen und Bands weitergeben werden, die wegen der Krise in finanzielle Bedrängnis geraten waren.
Schonungslos hat Corona die schlechte soziale Absicherung der freien Kulturschaffenden offengelegt. Die Kultur erfuhr zwar viel Unterstützung, ein gewisses Sicherheitsnetz ist vorhanden, aber wo man mit welchen Instrumenten anzusetzen ist, damit weniger Kulturarbeit, Akteure und Initiativen durch die Maschen fallen, ist noch nicht gelöst. Daran arbeite man. Besonders betroffen sind derzeit die im Kulturbereich Freischaffenden, vor allem solche, die nicht als Einzelfirma selbständig erwerbend sind. Für die Hilfsmassnahmen hiess der Kompromiss, die Definition «selbständig» zu öffnen. Die Situation wird aber weiter prekär bleiben. Auch die Kantone seinen mit der Flut an Gesuchen überlastet. Letztlich, so die Quintessenz von Philippe Bischof, könne man im Moment nur den Kulturakteuren mit finanzieller Unterstützung Zeit verschaffen, um sich den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen und neu aufzustellen.
Auf die Frage, welche Erfahrungen mit Online-Formaten gemacht wurden, antwortete Daniel Fontana, dass sie nur wenig Konzerte gestreamt und in der Bar live übertragen hätten, diese jedoch mit Erfolg. Daneben wurden Gespräche mit DJs online gestellt. Ausserdem sei ihre Website auch als Kunst zu verstehen. Das physische Erlebnis sei jedoch für das Festival zentral. Das Bedürfnis nach Exzess sei da und könne im Moment eigentlich nur illegal befriedigt werden.
Hat es die Fotografie gegenüber der Performancekunst einfacher, in den digitalen Raum zu wechseln? Grundsätzlich ja, meinte Nadine Wietlisbach. Wenn auch das Fotomuseum Winterthur digitale Formate entwickelte, bleibe der Museumsraum als Begegnungs- und Erfahrungsraum, wo Wissen ausgetauscht werde, nicht zu unterschätzen. Das Entwickeln einiger Online-Angebote gehe vor die Zeit der Pandemie zurück. An der Timeline etwa hätte das Museum eineinhalb Jahre gearbeitet. Eine Reihe sei hingegen während des Lockdowns entstanden: Screen walks, ein Format zwischen Workshop und künstlerischer Tour mit Fotografinnen und Fotografen bzw. Kunstschaffenden, die sich explizit mit dem «Screen» auseinandersetzen. In diesem Format hätten sie auch sehr viele internationale Zuschaltungen. Diese Reihe würden sie vorerst weiterführen.
Auf die Frage, was sich in Zukunft für die Kulturbranche verändern würde, antwortet Nadine Wietlisbach, dass sich gewisse Arbeitsweisen verändern würden. Für Aussteller sei es immerhin möglich, eine Schau über die Kontinente hinweg zu planen, was bei allem, was unter die Rubik «Performing Arts» falle, eher schwieriger sei.
Trotz Krisensituation ein Gefühl von Abgeklärtheit? Ja, im Grunde begleitet Kultur immer Veränderung, schliesst den Faktor Unsicherheit ein. Bei Förderprojekten wisse man auch nicht mit Sicherheit, ob die erwünschte Wirkung eintreffe. In der Krise könne man unterstützen und Hilfsmassnahmen zur Verfügung stellen, aber es sei unmöglich, alles Bisherige aufrecht zu erhalten.
Daniel Fontana verstand sich und sein Festival gewissermassen als Corona-Modelltruppe, die nicht auf Normalität angewiesen sei. Irgendwie würden sie eine Lösung finden für die nächste Spielzeit. Auch wenn es sich im Moment eher als Spiel anfühle. Sie würden sich dann einfach anders organisieren. Plan B wäre dann vielleicht ein Campingplatz, auf dem die Kilbi stattfinde. Grundsätzlich sei der Wunsch da, kollektiver zu werden, den Jungen mehr Vertrauen zu schenken, aber auch das Dorf noch mehr einzubeziehen.
Philippe Bischof sieht bei den Förderkriterien Handlungsbedarf. Gerade für Tanzcompagnien, die international touren, müssten die Kriterien flexibler werden. Aber auch wenn Pro Helvetia Transformation anregt und unterstützt, heisst das nicht, dass keine normalen Konzerte und Projekte mehr gefördert würden. Es bestünde hier auch eine Chance für die Kulturförderung, neue Möglichkeiten zu schaffen und beweglicher zu werden.
Wichtig sei es, Modelle der sozialen Absicherung zu entwickeln. So könnte zum Beispiel auch ein gut funktionierendes Modell wie das der Deutschen Künstlersozialkasse als Denkmodell für die Diskussion herangezogen werden. Aber letztendlich sei Krise eben eine Krise: Sie bringt keine perfekten Lösungen hervor, aber Chancen für Veränderung.
Konkrete Lösungen sind noch keine in Sicht, aber folgende Impulse nehmen wir für die Weiterbildung mit:
Der Kultursektor als Ganzes wird sich auf die neue Situation und andere Rahmenbedingungen einstellen müssen. Transformation durch gesellschaftlichen Wandel und Digitalisierung ist bereits Teil der kulturmanagerialen Weiterbildung. Mit der Krise kommt nun auch die Planungsunsicherheit hinzu, die nach flexiblen Strukturen verlangt, und die unsichere Finanzlage. Mehr denn je sind Kulturbetriebe auf Stiftungen und Sponsoren sowie auf Besucher*Innen angewiesen.
Der Lockdown hat der Digitalisierung einen Schub gebracht. Damit die Online-Kulturangebote nicht Gratiskultur befördern, gilt es, Online-Geschäftsmodelle aus verschiedenen Branchen kennenzulernen. Welche On- und Offline Strategien sind auch auf die Kultur übertragbar oder lassen sich adaptieren? Welches sind die jeweiligen Vorteile, und wie können sich analoge und digitale Rezeption ergänzen? Wo sind auch kostenlose Angebote sinnvoll platziert? Da die Digitalisierung alle Lebensbereiche und die sich wandelnden sozio-techno-ökonomischen Systeme betrifft, stellt sich die Frage, welche Qualitäten diese im Vergleich zu bisherigen Angeboten und Vermittlung mit sich bringen.
Im Bereich der Vermittlung und des Marketings suchen wir nach Good Practice-Beispielen: Wie gelingt es, trotz Schutzkonzepten ein Kulturerlebnis zu schenken, in dem sich die Zuschauer*innen als Teil eines Ganzen empfinden? Inwiefern wurden mit der Einschränkung neue Formate entwickelt und konnten über digitale Portale neue Adressat*innen erreicht werden? Was offeriert der Austausch mit einem internationalen Publikum auf Online-Plattformen? Oder ganz praktisch gefragt: Wie können digitale Tools die Zusammenarbeit in internationalen Projekten vereinfachen? Diese Themen werden sich gut in den MAS integrieren lassen.
Nach wie vor gilt es, selbstständige Kulturschaffende mit diversen Teilzeitanstellungen darüber zu informieren, was es bezüglich beruflicher Vorsorge zu beachten gilt. Auf einer übergeordneten Ebene könnte das Studium von verschiedenen Modellen sozialer Absicherung für Kulturschaffende Grundlagen schaffen und Ansätze vorstellen, die in der Schweizer Förderlandschaft zur Diskussion beitragen könnten.
Auf der Seite der Kulturproduktion und Vermittlung sowie auch innerhalb des Themenbereichs Kulturpolitik und Kulturrecht wird «Kulturarbeit neu denken und gestalten» gewissermassen zum Leitthema im Curriculum des MAS Kulturmanagement. Wir sind überzeugt, dass unser transdisziplinärer Ansatz und unser Bemühen um ein Denken in unterschiedlichen Systemzusammenhängen das Gespräch auch während der Krise belebt.