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Digitale Kulturangebote in Corona-Zeiten – ein Anfang ist gemacht

Das Kulturleben leidet in der Coronazeit: Ein klein wenig Abhilfe brachten aber digitale Angebote. Ist das jetzt der Durchbruch?

Wirtschaftsexpertinnen und -experten sind sich einig: Vieles wird nach der Pandemie anders sein. Auch Digitalmuffel haben gelernt Online-Shopping zu schätzen, Verhandlungen funktionieren auch ohne teure Geschäftsreisen und auch für Konferenzen und Weiterbildungsangebote kann man sich in vielen Fällen den Weg sparen.
Gilt das auch für die Kultur? «Ohne Kunst und Kultur wird es still», heisst der Slogan einer Kampagne. Aber stimmt diese Behauptung auch? – Wohl nur zum Teil. Streaming-Dienste verzeichnen einen nie dagewesenen Boom. Sie bieten mittlerweile mehr als nur Futter für Serienjunkies, sondern ein breites Filmangebot mit Blockbustern wie auch mit Arthouse-Movies. Wer seinen Fernseher aufrüsten will, findet reichlich Hardware und Riesenbildschirme, und Dolby-Surround-Audio gehört für Filmfans bereits zur Standardausrüstung. Die Entwicklung ist nicht neu, wurde aber durch die Krise beschleunigt. Die Kinos sind schon seit einiger Zeit daran, sich nach neuen Geschäftsmodellen umzusehen.

 

Qualität von handgestrickt bis professionell.
Kulturanbietende haben aufgerüstet und digitale Angebote entwickelt, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren. Das Schweizer Fernsehen hat bereits vor einem Jahr angefangen, eine Liste mit digitalen Kulturangeboten zu erstellen, die sich ganz respektabel macht. Auch hier gilt allerdings: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Wer sich kritisch mit den einzelnen Angeboten befasst, wird schnell feststellen: Nicht alles funktioniert so, wie sich die Absender das wünschen.
Es gibt allerdings ein paar Angebote, die herausstechen. Dazu gehören zum Beispiel die Solothurner Filmtage: Sie fanden im Januar zum 56. Mal statt – und zum ersten Mal von
A bis Z online. Die Bilanz lässt sich sehen: Die Internetseite der Filmtage verzeichnete vom 20. bis zum 27. Januar über 850 000 Page Views und 57 000 verschiedene Besucherinnen und Besucher. Das heisst, dass sich 57 000 Personen einmal für kürzere oder längere Zeit angemeldet haben. Für eine vertiefte Analyse müsste man wohl zusätzliches Zahlenmaterial auswerten, aber so viel ist klar: Das Angebot hat funktioniert. Es ist mehr als eine Notlösung, sondern eine neue Perspektive für die Zukunft, denn nicht jeder hat Zeit, Mittel und Sitzleder, um sich im tiefsten Winter die Tage und Nächte in Solothurn um die Ohren zu schlagen.
Das Zürcher Opernhaus hat im ersten Lockdown angefangen digitale Inhalte zu verbreiten und unterhält seit April 2020 einen Online-Spielplan, der unterschiedliche Formate anbietet. Im Wesentlichen sind es Aufzeichnungen, die im Rahmen von «Oper für alle» seit 2012 produziert wurden, und Live-Streamings, die man nach dem ersten Lockdown eingeführt hat – etwa mit Stücken wie «Csárdásfürstin», «Boris Godunow» und «Maria Stuarda».
Streaming heisst: Oper vor leeren Publikumsrängen. Das sind alles aufwendige Formate, einfacher sind dagegen Podcasts oder Zoom-Konferenzen mit Künstlerinnen und Künstlern. «Was wir davon für die Zukunft nach Corona mitnehmen wollen, ist zurzeit noch offen», sagt Mediensprecherin Bettina Auge. Im Gespräch macht sie klar, dass Oper immer ein Live-Erlebnis bleiben wird. Trotzdem hat das Publikum das digitale Engagement des Opernhauses offenbar geschätzt: Die Reaktionen seien durchs Band weg positiv gewesen, auch wenn Bettina Auge dazu keine Zahlen nennen will.

 

Sättigungseffekt verlangt nach neuen Ideen.
Auch die Museen haben mitgezogen: Das Landesmuseum Zürich hat schon vor einem Jahr mit virtuellen Rundgängen angefangen und betreibt einen erfolgreichen History-Blog in drei Sprachen mit bis zu drei neuen Artikeln pro Woche. Neu habe man im jüngsten Lockdown Zoom-Führungen angeboten, die ebenfalls gut angekommen seien, sagt Kommunikationsspezialist Alex Rechsteiner und ergänzt: «Wir haben allerdings im längeren Verlauf der Coronakrise einen Sättigungseffekt festgestellt. Es brauchte neue Ideen, wie zum Beispiel die Führungen über Zoom, um das Interesse des Publikums zu wecken und vielleicht neue Segmente zu erreichen.» Interessanterweise seien aber die digitalen Angebote, die schon vor Corona beliebt waren wie etwa der Blog, von diesem Sättigungseffekt nicht betroffen gewesen.
Die Popmusik ist doppelt interessant: Sie gehört einerseits zur schwer getroffenen Eventbranche. Andererseits hat die Digitalisierung hier bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten zu einer Neuorientierung geführt. Das Popfestival m4music, welches das Migros-Kulturprozent traditionell im Frühjahr veranstaltet, zeigt dieses Jahr beispielhaft, wie ein digitales Festival funktioniert. Was im Jahr 2020 aufgrund der dramatischen Umstände – der Lockdown begann just einige Tage vor dem Festival – improvisiert werden musste, wurde für 2021 solide durchdacht und durchgeplant. Zwar lässt sich nicht alles digital abwickeln und natürlich bieten gestreamte Konzerte ein reduziertes Live-Erlebnis. Aber Kernelemente wie Demotape-Clinic, Demo-of-the-year oder die Conference funktionieren online bestens. Und aus den Erfahrungen von 2020 hat man etwas Wichtiges gelernt. So gab Festivalleiter Philipp Schnyder schon im Frühjahr 2020 zu Protokoll: «Es hat funktioniert – mehr noch: Die Bereitschaft zum Austausch via Video ist viel grösser geworden. Ich kann mir nun plötzlich ganz neue Formate überlegen. Wir könnten zum Beispiel mit Musikern und Pop-Spezialisten aus Lateinamerika, aus Asien oder dem Nahen Osten reden und Grenzen und Kontinente überschreiten. Wir werden neue Communities entwickeln können und schon in sechs Monaten wird uns das alles weniger fremd vorkommen.»

 

Weg von der Einweg-Kommunikation.
Das Beispiel von m4music zeigt zweierlei: Digitale Kulturvermittlung ist mehr als nur das Streamen von Inhalten, sei es nun live oder aufgezeichnet. Entscheidend ist die Integration der Kommunikation. Digitale Medien ermöglichen den Austausch mit Publikum und Stakeholdern in einem bisher noch nie da gewesenen Mass. Kulturvermittlung in der Vergangenheit war meist eine Einweg-Kommunikation. Hier der Intendant oder die Intendantin, dort das Publikum. In der digitalen Zeit muss das nicht mehr unbedingt so sein: Das kann eine Bedrohung, aber auch eine Chance für die traditionellen Modelle sein.
Das alles ändert aber wenig daran, dass die Kulturbranche zu den am härtesten von der Pandemie getroffenen Branchen gehört. Eventveranstaltende können ihren Betrieb nicht von einem auf den anderen Tag wieder hochfahren. Nothilfen und Unterstützungen für Kulturschaffende haben ein Ablaufdatum. Für eine Bilanz ist es sicher zu früh, allgemein wird nicht mit einer nachhaltigen Erholung vor dem kommenden Jahr, also 2022, gerechnet.

 

Kritische Stimmen.
Die Corona-Krise hat die Digitalisierung des Kulturlebens ohne Zweifel gefördert. Es gibt allerdings auch kritische Stimmen. Dazu zählt jene des ehemaligen Pro-Helvetia-Direktors Pius Knüsel. Er veröffentlichte im Januar 2021 in der «NZZ am Sonntag» einige provokante Thesen, zwei davon sind in diesem Kontext besonders wichtig: Laut Knüsel will die Hälfte der Schweizer, genau 52 Prozent von 1200 Befragten, künftig weniger kulturelle Veranstaltungen besuchen. Nur 15 Prozent würden den künstlerischen oder kulturellen Inhalt vermissen. So lautet das Ergebnis einer Studie, die das Genfer Umfrageinstitut L’Œil du Public Ende August im Auftrag des Bundesamtes für Kultur und der kantonalen Kulturbeauftragten durchgeführt hat. Weiter machte Knüsel geltend, dass nur die Pop-Kultur den Anschluss an das «hässliche Medium Internet» geschafft habe.
Ob daran etwas Wahres ist, wird sich zeigen. Klar ist dagegen: Die Kulturbranche ist im Umbruch. Dass mit Streaming von bestehenden Formaten allein kein Staat mehr zu machen ist, liegt auf der Hand. Gefragt ist auch Austausch. Dass dies wohl ein neuer Trend ist, bestätigt auch der Erfolg des neuen Plauderformats Clubhouse. Der Umbruch hat wohl eben erst begonnen, und Corona war wie ein Entwicklungslabor. Fortsetzung folgt!

Dieser Artikel ist eine Kooperation mit der Programmzeitung in Basel. Er erscheint zeitgleich in der Mai/2021 Printausgabe.

Weiterführende Links:
www.srf.ch/kultur
www.solothurnerfilmtage.ch

www.opernhaus.ch

www.landesmuseum.ch
www.m4music.ch