Mit der Pandemie hat ein drängender Digitalisierungsschub die Hochschulen erfasst, mit dem wir erst einmal umzugehen lernen müssen und mit dem wir paradoxer Weise noch im Fliegen die Landung als steten Abflug antizipieren. Und ob wir nun den Zugang zu physischer, universitärer Infrastruktur beschränken, 2G, 2G+, hybride Formen einführen oder remote unterrichten – ein back to normal gibt es auf absehbare Zeit nicht. Aber was passiert ist, ist eine offensive Neuausrichtung von Bildungsangeboten im Verständnis um die Notwendigkeit von Weiterbildung. Gerade jetzt, da sich zeigt, was alles möglich ist, nutzen wir die Chance, um diese erzwungene Entwicklung öffnend auszuschöpfen und in unsere Lehrgänge einzubauen.
Es hat sich schnell herauskristallisiert, wie wichtig ein Gemeinschaftserlebnis für die Universitätserfahrung der Studierenden ist. Und nicht nur dafür, sondern auch die Bedeutung der Hochschule als Lern- und Konzentrationsort ist deutlich geworden. «Studieren gehen» ist für viele Studierende auch die Möglichkeit, sich auf die Lehre, Reflexion und eigene Forschungsarbeit voll und ganz einlassen zu können. Familiäre Strukturen und Zwänge, Platz- und Betreuungsnot haben viele vor grosse Probleme gestellt. Für den Anfang war der embedded classroom in der Küche, im Flur oder auf dem Dachboden noch machbar. Aber die familiäre oder räumliche Situation ist nicht als Lernort ausgelegt. Die technische Ausrüstung, Internetanbindung oder Rückzugsmöglichkeiten sind oft nicht vorhanden oder auch nicht immer möglich. Wenn wir also in Zukunft Teile der Lehre via Zoom, Loom, etc. senden respektive anbieten, sollten wir gleichzeitig einen physischen Empfangs- und Lernort anbieten für all jene, die eben genau dies im Privaten nicht einrichten können. Hochschule ist ja nicht nur ein Angebot des Inhalts, sondern eben auch der Qualität der Vermittlung. Ausgehend von der ursprünglichen Definition und erweitert um die Diskussion einer digitalen Dimension, öffnet sich der Begriff des Dritten Ortes als Interpretationspielraum für den Hochschulbetrieb. Als Formel schlicht als Dreiheit formuliert: Lehre, Leben, Lernen.
Aber wie geht es den Studierenden mit der Online-Lehre tatsächlich? Laut einer repräsentativen Forsaumfrage der deutschen Techniker Krankenkasse von April 2021, empfinden die Studierenden die digitale Kommunikation als überwiegend anstrengend. Ebenso schwierig wurde das eigenmotivierte Arbeiten eingeschätzt. Gleichzeitig gaben 84% Prozent an, mit Online-Angeboten gut umgehen zu können und 83% geben an, dass persönliche Gespräche mit den Dozierenden und KommilitonInnen durch nichts zu ersetzen seien. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen und Gesprächen der letzten zwei Jahre. Eine interessante Studie, die unser Konzept des physischen Lernortes als «Dritte Ort» im Lehrbetrieb stützt, kommt aus den USA. In der Umfrage von wework.com und brightspot strategy manifestierte sich der Wunsch der Studierenden nach einem physischen Angebot der Universitäten für Lern- und Konzentrationsräume. Wobei interessanterweise eine etwaige Nähe zum Campus eine untergeordnete Rolle spielte. Ob in Form von Co-Learning-Spaces und Zoom-Kabinen oder inwiefern Büroleerstand nomadisch genutzt werden könnte, gilt es zu entwickeln. Spannend ist dieser physische Ort auch als «Möglichkeitsraum», in dem abseits von zielgerichteter Lehre Austausch, Reflexion, Vertiefung und Vernetzung stattfinden kann. Wenn wir also digitale Lehrformen denken, ist neben der Übertragung und der Qualität der Sendung auch die Qualität der Empfangsmöglichkeit von entscheidender Bedeutung. Dieser Dritte Ort wird nicht nur uns, sondern die gesamte Hochschullandschaft in naher Zukunft beschäftigen – zumindest all jene, die ihre digitalen Formate ausweiten.
Halb-halb, gemeinsam und selbst
Die Pandemie wird die Universitätserfahrung noch einige Zeit einschränken. Die direkten Feedbacks und formulierte Anliegen unserer Studierenden, geben uns nicht nur indirekt den Auftrag, sensibel und öffnend mit den Einschränkungen umzugehen. Basierend auf den Learnings und Aussichten haben wir uns entschieden, den CAS in Digitalen Kulturen neu zu vermitteln. Geleitet dabei hat uns neben dem inhaltlichen Fokus die Frage nach der Universitäts- und Lernerfahrung, Nachhaltigkeitsaspekte, Zeit- und Mobilitätssouveränität sowie das Gemeinschaftserlebnis. So wird die Hälfte der Seminarblöcke physisch stattfinden und die andere Hälfte hybrid bzw. als Zoom-Seminare. Dazu werden wir aber – so es die Pandemie zulässt – einen Ort für all jene anbieten, die einen Lernort benötigen. Gleichzeitig ist uns der Aspekt der Gemeinschaft mit den Präsenzveranstaltungen ein besonderes Anliegen. So beginnt der CAS mit dem einleitenden Seminar von Prof. Dr. Dr. Ayad Al-Ani und dem Erarbeiten einer eigenen Position zusammen mit den Mitstudierenden. Das erste Kennenlernen ermöglicht den Studierenden sich auch bildschirmgebunden mehr als Gruppe zu verstehen. Das Seminar über «Audio on Demand» sowie die Exkursion zum «HEK – Haus der Elektronischen Künste» findet ebenfalls gemeinsam statt. In einem 2-tägigen Innovation LAB mit der Ideenforscherin Prof. Dr. Sabine Fischer erarbeiten die Studierenden kooperativ Strategien und Methoden der Ideenentwicklung in der digitalen Sphäre. In einem hybriden Seminartag mit der !Mediengruppe Bitnik nähern wir uns gemeinsam mit dem Künstlerduo der künstlerischen Praxis des Hackings und weiterer digitaler künstlerischer Strategien. Dieser Wechsel von Blockseminaren in Basel und ortsunabhängigen Zoom-Seminaren ermöglicht vielen Studierenden, die nicht aus Basel kommen, einen zeitsouveräneren und flexibleren Zugang zur Weiterbildung.
Wissen und Erkenntnis direkt von da und dort
Im vergangenen CAS in Kulturpolitik und Kulturrecht haben wir bereits umgesetzt, was vor der Pandemie lediglich ein Konzept oder Gedankenspiel war. Zum online Seminartag International Cultural Policy, geleitet durch unseren Dozierenden Dr. Patrick Föhl, konnten wir Ayomide Salifu (Nigeria), Yaroslav Minkin (Ukraine) and Bill Flood (USA) zu uns einladen, per Live-Übertragung. Die Studierenden hatten so die Möglichkeit, die verschiedenen Systeme der Kulturpolitik und ihre Einbindung in die Politik des Landes von Akteuren vor Ort kennenzulernen und zu diskutieren. Das Einbinden ferner und lokaler Quellen und Erfahrungen ist plötzlich selbstverständlich und lässt neue Formate zu. Es gibt uns die Möglichkeit der Teilhabe an grossen wie kleinen Projekten, Vorhaben oder Erkenntnissen.
Sind Ed-Techs eine Zukunft der Weiterbildung?
Ed-Techs, also webbasierte AnbieterInnen von Lern- und Lehrprogrammen, sind in der Schweiz noch kaum präsent. Mit der Lernplattform «Coursera» haben in den letzten Jahren hunderte Universitäten Online-Kurse entwickelt und sie zur Gratis-Nutzung bereitgestellt. Auf der Plattform «Class Central», auf der man nach Online-Kursen suchen kann, sind in den vergangenen sechs Jahren über 8.000 der sogenannten Massive-Open-Online-Courses (MOOCs) von 800 Universitäten gelistet. Nach Angaben von Dhawal Shah, dem Gründer der Plattform, haben allein in den vergangenen drei Monaten 200 Universitäten weitere 560 Online-Kurse neu angekündigt.
Diese Kurse können einmal als Dienstleistung respektive als Demokratisierung der Wissensvermittlung angesehen werden und auch jenen Zugang ermöglichen deren dieses Wissen sonst verwehrt wäre. Zudem ist ein gutes Online-Seminar auch ein überzeugender Einstieg in die entsprechende Weiterbildung. Je nach Strategie könnten so auch individualisierte, eigene Themencluster oder von den User:innen kuratierte Bundle entstehen. Zudem die internationale, aber lokale Studierbarkeit durchaus auch jenen zugutekäme, für die eine Ausbildung in der Form nicht möglich ist – sei es aus finanziellen oder anderen Gründen.
Zudem Themen- und Deutungs- bzw. Bedeutungshoheit in der webbasierten Sphäre immer eine Frage der Präsenz und des Engagements ist. Wer da ist, der gilt – und das gilt für alles. Eine Art Halo-Effekt, der sich dann auch auf die Präsenz- und Zertifikatslehrgänge auswirken könnte. Es macht also durchaus aus strategischen wie auch wirtschaftlichen Gründen Sinn, diesen Markt genau zu beobachten, um im Zweifel selbst teilzunehmen.
Bildung weitergedacht – als Angebot der Universität
Weitergedacht wäre die Entwicklung von Knowledge-Hubs ein nächster Schritt. Also Orte, an denen ich ein freies, dezentrales, selbstbestimmtes, zeitsouveränes, onlinebasiertes Studium absolvieren könnte. Ob das in leerstehenden Kinos, Theater, Einkaufszentren, Co-Working-Spaces, Stundenhotels oder Büroleerstand stattfindet – wichtig ist der Wechsel aus Kooperationsflächen und Streaming-Kabine. Ob Rückzug und Eintritt in den selbstgewählten webbasierten Hörsaal oder zur Übertragung international bedeutender Vorträge im Saal mit Gastronomie im Zentrum. Der Ort agiert als Gastgeber und Möglichkeitsraum, Gemeinschaft findet an der Bar statt.
Wir möchten in Zukunft die Welt als Hörsaal begreifen und Knowledge Hubs als Angebot der Hochschulen verstehen. Auf diese Weise könnten wir tatsächlich Weiterbildung global denken. Umso wichtiger bleibt als Gegenpol das Curriculum und die Nachvollziehbarkeit und Herleitung definierter Abschlüsse und Zertifikate. So bleibt die Entwicklung von Bildungsangeboten ein stetes Aushandeln, Gestalten und Festschreiben. Bildung ist in Bewegung und wir sind an einem Punkt, an dem sehr vieles nicht mehr nur möglich wäre oder wird – sondern ist.