Die aktuelle Sonderausstellung «Ausser Gebrauch. Alltag im Wandel» (23.3.-17.9.2023) des Historischen Museum Basel (HMB) thematisiert Alltagskultur vom 18. bis 21. Jahrhundert: Von Hygiene über Mode bis hin zu Tischkultur und Mobilität nimmt die Ausstellung ein breites Spektrum von Lebensbereichen in den Blick.
Anhand von über 300 Objekten, die überwiegend aus eigenen Beständen des HMB stammen, macht die Sonderausstellung die Lebenswelt vergangener Jahrhunderte anschaulich. Dabei steht, wie der Titel der Ausstellung bereits verrät, der Wandel von Alltagskultur im Fokus.
Hier offenbart sich die dezidiert gegenwärtige Perspektive, auf die der Eingangstext der Sonderausstellung hinweist: den «Umgang mit Ressourcen, Leben in Notzeiten, gesellschaftliche und mentalitätsgeschichtliche Veränderungen sowie das achtsam gewordene Verhältnis zum Tier.»[1] Im Kontext der Kriegs- bzw. Nachkriegszeit der 1950er-Jahre werden etwa Objekte und Praktiken, die sich der Wiederverwendung, dem Schonen und Flicken verschreiben mit dem Schlagwort der Nachhaltigkeit verknüpft, und somit Brücken geschlagen zu gegenwärtigen Trends von Up- oder Recycling sowie der Rückkehr des Reparierens.
Dieser Blick auf historische Objekte und Praktiken wird gezielt anhand von Objekten erzählt, die heute nicht mehr in Gebrauch sind: So versammelt die Ausstellung winzige Tischvasen für einzelne Blüten oder Galoschen (Überschuhe aus Gummi zum Schutz von Lederschuhen bei Regenwetter), Butterfässer, Nachttöpfe oder Broschüren zur Erläuterung von Anstandsregeln.
Die Ausstellung geht jedoch über die bloße Ansammlung von Gegenständen hinaus und erzählt weit mehr als materielle Kultur oder technische Neuerungen im Lauf der Jahrhunderte. Anhand von analogen wie digitalisierten Objekten werden ebenso gesellschaftliche Veränderungen aufgezeigt: nicht mehr mehrheitsfähige Moralvorstellungen, Sprachgebrauch und Auffassungen politischer Korrektheit werden genauso in ihrer Historizität thematisiert wie materielle Güter.
Die Ausstellung verknüpft die Präsentation von teils kurios oder befremdlich anmutenden Objekten mit Verweisen auf aktuelle gesellschaftliche Themen oder Zugänge. Etwa wenn im Bereich «Tischkultur» Obstmesser ausgestellt sind, deren Griffe in Form von Frauenbeinen gearbeitet sind, verweist die Objektbeschreibung darauf, dass zwar Messer nicht ausser Gebrauch sind, jedoch das Design heute als geschmacklos und sexistisch betrachtet würde und daher in dieser Gestaltung nicht mehr in Gebrauch ist.
Anhand von Objekten zu Fasnachtskultur und Kinderbüchern wird dem «veränderte[n] Blick auf Andere» eine eigene Vitrine gewidmet. Es werden historische Objekte gezeigt, die stereotype Darstellungen von Schwarzen Menschen bedienen oder das N-Wort beinhalten, doch distanzieren sich Vitrinen- und Objekttexte deutlich davon: «Nach einer langen Zeitspanne, in der die Mehrheitsgesellschaft die zahlreichen Minderheiten ausgrenzte, gilt es in einer modernen, diversen und international geprägten Gesellschaft, die vorhandene Vielfalt vorurteilsfrei wahrzunehmen und abzubilden. Damit sind etliche Wörter sowie Darstellungsformen nicht mehr akzeptabel. Sie geraten ausser Gebrauch – wenn auch nur langsam.»
Als Teil der Sonderausstellung wird auch Ergebnissen eines partizipativen Vermittlungsprojekts Platz eingeräumt. Ein QR-Code animiert Besucher:innen dazu, eigene Objekte, die ausser Gebrauch sind, als Foto auf die Museumswebsite hochzuladen oder im Rahmen von mehreren «Bestimmungsnachmittagen» vor Ort in die Barfüsserkirche zu bringen und fotografieren zu lassen. Über die Webseite des HMB ist ferner ein virtueller Rundgang der Ausstellung abrufbar.
Gelungen erscheint der Ansatz der Sonderausstellung, alle Sinne anzusprechen. Während die allermeisten Objekte geschützt in Vitrinen ausgestellt werden, gibt es mehrere Stationen, wo Duplikate einzelner Objekte auf Tischchen zum Anfassen drapiert sind, um etwa eine Kaffeemühle oder einen Muff aus Kunstfell in seiner haptischen Qualität begreifen zu können.
Die Sonderausstellung setzt auf eine Mischung von digitalen und analogen Vermittlungsstrategien. Es gibt Stationen, die den Besucher:innen erlauben, sowohl Objekte in ihrer sinnlichen Qualität zu erfassen, als auch Medienstationen, an denen man die digitalisierten Objekte im Detail als Quiz erkunden kann.
Es gibt eine ganze Reihe von Stationen, die Tast-, Geruchs- oder Hörsinn ansprechen, wie etwa eine Hörstation, bei der Geräusche von elektronischen Geräten der letzten Jahrzehnte als Ratespiel zugeordnet werden müssen und die womöglich Kinder und Erwachsene gleichermaßen erheitern – vom Verbindungsgeräusch alter Modems, über das Rattergeräusch eines Wählscheibentelefons bis hin zur Hintergrundmusik des Tetris-Spiels.
Wie die Vielzahl an Reaktionen zeigt, wird eine Station im Eingangsbereich der Ausstellung, die Feedback zur Ausstellung genauso anregt wie das Ausprobieren von Alltagspraktiken des 20. Jahrhunderts, besonders gut angenommen. Ein Tisch, ausgestattet mit mechanischer Schreibmaschine aus dem frühen 20. Jahrhundert, bunten linierten Karteikarten, Bleistiften und Farbstiften regt Kinder und Jugendliche genauso an wie Erwachsene und Senior:innen, eine Karteikarte in die Schreibmaschine einzuspannen, Grüsse oder Eindrücke zur Ausstellung zu tippen und an Klammern aufzuhängen. Der Selbsttest an der mechanischen Schreibmaschine belegt: Die Zeitreise in vergangene Alltagskulturen macht Spaß. Das eine oder andere Objekt weckt je nach Alter der Besucher:innen persönliche Erinnerungen oder lässt Jüngere staunen.
Auch wenn nicht nachprüfbar ist, wieviel CO2-Ausstoß oder Ressourcen gespart wurden, sind durch die im Eingangstext der Ausstellung kenntlich gemachte Wiederverwendung der Ausstellungsarchitektur der vorangegangenen Ausstellung und der weitgehende Verzicht auf Leihgaben, doch eine breite Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit.
Insgesamt präsentiert sich die Sonderausstellung «Ausser Gebrauch» als gut durchdachte, generationenübergreifend anregende Ausstellung, die einen kritischen Blick auf vergangene Alltagskulturen wirft, und rassistische und sexistische Sprach- und Repräsentationspraktiken klar als überkommen benennt, anstatt sie zu bagatellisieren oder unkommentiert zu lassen.
[1] Dieses Zitat und alle weiteren Zitate sind den Texttafeln der Ausstellung entnommen.