Wohin geht’s? Positionen und Beiträge
zum Arbeitsfeld Kultur & Management

Neue Kulturmanager:innen braucht das Land!

Plädoyer für ein gemeinsames Nachdenken über die Zukunft des Fachs

 

Wir müssen reden

Wie steht es um das Kulturmanagement im deutschsprachigen Raum? Angesichts mehrerer Studiengangsschliessungen in den letzten Jahren, dem Ringen um Studierende an fast allen Kulturmanagementinstituten – nach vielen üppigen Jahren – und einer nach wie vor mässigen Sichtbarkeit im Kulturbereich, könnte man diese Frage sehr pessimistisch beantworten. Aber das Gegenteil sollte man tun: Im Kulturmanagement geht es immerhin darum, Potenziale und Chancen zu erschliessen, um konstruktive Kommunikation, um die Vernetzung von Akteur*innen und die Entwicklung innovativer Ideen für eine zeitgemässe Kulturentwicklung. Wann, wenn nicht jetzt, braucht der Kulturbereich ein konstruktives, ermöglichendes, vernetzendes und transformatives Kulturmanagement? Ein rein negativer Blick würde auch die vielen Errungenschaften im Kulturmanagement vernachlässigen. Vielmehr bedarf es eines konstruktiv-kritischen Blickes darauf, wie man aufbauend auf den vorhandenen Stärken und Kompetenzen und mit vereinten Kräften eine zukunftsfähige Kulturmanagement-Ausbildung auf den Weg bringen kann.

Dauerhafte Transformation macht auch vor dem Kulturmanagement nicht Halt

Unsere Gesellschaft begibt sich mehr und mehr in einen dauerhaften Transformationsprozess, der auch vor Kultureinrichtungen und -projekten nicht Halt macht und diese auf immer neue Art und Weise inspiriert sowie herausfordert. Häufig wird darauf jedoch reaktiv mit einzelnen Lösungsansätzen oder Projekten geantwortet, die nicht langfristig angelegt sind und nicht viel an der Ausgangssituation ändern. Dadurch kommt man aus dem Reagieren gar nicht mehr heraus. Die Schere zwischen den eigenen Möglichkeiten und den wachsenden Anforderungen der Umwelt öffnet sich immer weiter. Dabei werden auch die Curricula mit zum Teil über 30-jähriger Geschichte nicht wirklich entlastet, sondern ähnlich wie in der Kulturpolitik bzw. dem Kulturbereich punktuell renoviert und neue Themen additiv mit aufgenommen.

Das ist keine Kritik. Es ist das, wozu man mit vorhandenen Verfahren, Hierarchien und auch Förderstrukturen in der Lage ist, mit den aktuellen Entwicklungen umzugehen. Nun stellt sich die Frage, wie hier das Kulturmanagement innovative Kontrapunkte setzen kann, um – wo nötig – Schutz, Change oder Transformation zu befördern? Denn dafür reicht es nicht, lediglich Trends zu verarbeiten und kulturmanagerial zu kontextualisieren.

Kurzum, es scheint sich einiges ändern zu müssen im Kulturmanagement, damit es bleibt und mehr noch: um Kulturmanagement endlich den Stellenwert zu verschaffen, den es potenziell verdient. Eine Innenkehr scheint mehr denn je angezeigt. Wo geht die Reise hin und wie kann sie gelingen?

Das Aussen nach Innen kehren

In der Publikation Kulturmanagement als Wissenschaft aus dem Jahr 2017 wird die Genese des Fachs umfänglich beschrieben: Bislang fokussieren viele Ausbildungsstätten bewusst oder unbewusst immer noch klassische Rollenmodelle, die Kulturmanager*innen als Projektmanager*innen, Kulturmarketing-Spezialist*innen oder Finanzierungsjongleur*innen innerhalb von Kultureinrichtungen und externen Projekten sehen. Diese Schwerpunktsetzung ist auf den ersten Blick verständlich, gibt es nach wie vor in der breiten deutschen Kulturlandschaft einen Bedarf für diese wichtigen helfenden Hände. Additiv werden zudem Themen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder Leadership hinzugenommen. Aber sind die Themen miteinander vernetzt? Kann man in dieser Breite Tiefe gewinnen?

Müssen alle alles machen und können?

Was sollte sich also ändern? Eine These könnte hier zunächst lauten: Kulturmanager:innen werden gebraucht, um die Wandlungsprozesse im Feld der Kulturpolitik sowie innerhalb und ausserhalb von Kultureinrichtungen/-projekten zu gestalten bzw. zu ermöglichen. Hier klafft in der Praxis eine riesige Lücke. Dadurch, dass alles in Bewegung kommt, gilt dies für alle kulturellen bzw. kulturmanagerialen Themen- und Gestaltungsbereiche. Eine weitere These liesse sich anschliessen: Wenn sich das Kulturmanagement nicht zunehmend auf die Gestaltung von Veränderungsprozessen spezialisiert, wird es aufgrund des steigenden Spezialisierungsgrades – z. B. im Marketing oder der Stadtentwicklung – durch entsprechende Profis ersetzt. In vielen Bereichen wird es zudem durch die Automatisierung von Produktions-, Verwaltungs- und Kommunikationsabläufen überflüssig.

Neben dem dringenden Handlungsbedarf besteht zugleich die grosse Chance, Kulturmanagement als Profession zur konstruktiven Gestaltung von Wandlungsprozessen dauerhaft im Kulturbereich zu etablieren und zu verankern. Bislang kann man nicht selten den Eindruck gewinnen, dass Kulturmanagement eher eine Aussenseiterrolle spielt und aufgrund seiner Hybridität weniger zum festen Kanon der Kulturberufe gezählt wird. Hier bestünde folglich die Möglichkeit, eine wahrhaftige Emanzipation von dieser Zuschreibung hin zu einer dauerhaften, spezifischen Rolle des Kulturmanagements zu erreichen. Allerdings nicht im Sinne eines klassischen Change Managements. Sondern als spezifisches Management zur kontextsensitiven Gestaltung und Moderation kultureller Entwicklungs- und Veränderungsprozesse, wie es zum Beispiel in der Handreichung Regionalmanager:in Kultur skizziert wird.

Der bestehende Kulturmanagement-Kanon könnte dabei überwiegend erhalten bleiben und sicherlich einige der vorhandenen Rollen und Funktionen. Die Grundhaltung und die Ausrichtung wäre aber eine andere: eine selbstbewusste, die mitgestaltet. Kulturmanagement könnte sich so eine visionäre Grundhaltung, einen zukunftsgerichteten Narrativ zulegen. Dazu ist aber eine radikale Selbstbefragung notwendig. Es verhält sich hier wie mit der Kunst und der Nachhaltigkeit. Erst wenn Kunstproduktion selbst nachhaltig funktioniert, kann Kunst glaubhaft das Thema Nachhaltigkeit künstlerisch verarbeiten und vermitteln. Das heisst für das Kulturmanagement also: Erst wenn man das, was man nach aussen predigt, auch selbst strukturell und konzeptionell lebt, kann man ein glaubhaftes und starkes Bild des Kulturmanagements kreieren.

Vom Reaktiven zum Prozessualen

Kulturmanager*innen sind aufgrund ihrer hybriden Prägung und den vielen verschiedenen Positionen, die sie innehaben (können), geradezu prädestiniert, diese konstruktiven Veränderungsprozesse zu gestalten. Aus vielen anderen Kulturberufen und -positionen ist dies aufgrund von Zuschreibungen und den zu vertretenden Haltungen heraus schlichtweg nicht möglich. Auch, weil «Veränderung» (zu recht) ein kontroverses und konfliktbehaftetes Handlungsfeld darstellt. Dafür braucht es Mediator*innen, Übersetzer*innen und  Koordinator*innen, die zwischen verschiedenen Interessen, Bereichen und Sprachen vermitteln können und dazu qua ihrer Position im «Zwischenraum» ermächtigt sind.

Ein Ansatz, der dieses Bild aufgriffen und weiterentwickelt hat, ist jener der sogenannten Meisterinnen und Meister der Zwischenräume von Gernot Wolfram (später auch Robert Peper) und dem Autor dieses Beitrages: Kulturmanager*innen im internationalen wie nationalen Kontext agieren heute mehr und mehr in Zwischenräumen, die von ihnen einen erweiterten organisationalen, ästhetischen und politischen Denk- und Handlungsraum fordern. Quasi täglich öffnen sich hier Räume und Bedarfe. Nehmen wir die aktuelle Diskussion über «Dritte Orte»: Um einen entsprechenden Ort zu kreieren, der verschiedene Menschen, Themen und ggf. auch Einrichtungen vereint, braucht es sensible Impulsgeber*innen, Sucher*innen und Vermittler:innen, die diese Rolle aktiv ausfüllen wollen und auch können. Dieser Bedarf scheint erstmal unerschöpflich, da dies zum einen nahezu für alle Entwicklungsfelder innerhalb von Kultureinrichtungen gilt, wie z. B. partizipative Formate für die Mitarbeiter:innenentwicklung. Es betrifft zum anderen aber auch ihre Aussenwelten, wie z.B. Teilhabe, Stadtentwicklung, Sichtbarkeit.

«Meister:innen der Zwischenräume» und Vertrauen

In allen genannten und weiteren Feldern können Kulturmanager*innen eine wichtige Rolle einnehmen, wenn sie ihre Position als Meister*innen der Zwischenräume ernst nehmen. Mit dieser Haltung und in genannten Wirkungszusammenhängen schliesst sich auch die Kluft innerhalb der seit Jahren geführten Diskussion, ob Kulturmanager*innen eher «Diener*innen» oder «Gestalter*innen» sein sollen. Sie sind beides im Kontext eines ermöglichenden «Zwischenraum-Managements», das gleich zu setzen ist mit einem «zeitgemässen Veränderungs- oder gar Transformationsmanagement». Am Ende geht es darum, ein prozessorientiertes – und damit auch lernendes – Kulturmanagement zu befördern, das weniger reaktiv, sondern lösungsorientiert agiert, um den um den Antworten auf die so vielen offenen Fragen ein Stück näher zu kommen.

Die damit verbundenen Potenziale, die sich für das Kulturmanagement aus einem solchen Wandel ergeben können, zeigt dieses Beispiel: Das Institut für Museumsforschung hat in einer bevölkerungsrepräsentativen Studie zu Vertrauen in Museen in Deutschland aufgezeigt, dass Museen im persönlichen und institutionellen Umfeld das höchste Vertrauen nach Familie und Freund*innen und vor Wissenschaftler*innen und Medien geniessen. Dies verdeutlicht das grundsätzliche Potenzial von Museen – und sicherlich auch den anderen Kultureinrichtungen und -projekten – in Zeiten von gesellschaftlicher Erosion und wachsender Komplexität, sich – aufbauend auf ihren Kernaufgaben – als Orte des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Diskurses zu etablieren. Allein in Deutschland gibt es über 6.000 Museen. Wie nutzt man dieses unglaubliche Potenzial? Hier sind vor allem Vernetzung, Koordination und Kooperation gefragt – originär kulturmanageriale Kompetenzen!

Was heisst das nun für die Kulturmanagement- Ausbildung?

Nicht alles sollte sich verändern, aber vieles – insbesondere die Grundhaltung. So spricht man inzwischen beispielsweise beim Studienangebot für Kulturmanagement an der Universität Basel von «kulturreflexivem Management» und bietet u.a. Schwerpunkte im Feld «Innovation und Change» oder «Digitale Kulturen» an. Dafür sind andere Themen weggefallen. Das sogenannte «Projektlabor» verbindet dabei alle erlernten Inhalte und Methoden. Mittels eigener Projektideen erschliessen sich die Studierenden in Teams nochmals die erlernten Inhalte, analysieren und hinterfragen diese und arbeiten vor allem auch die entsprechenden Zusammenhänge heraus.

Ähnliches gilt für den Online-Master «Arts and Cultural Management» der Leuphana Universität, der Themen wie «Culture and Transformation» und «Society and Responsibility» als Kerninhalte im klassischen Kulturmanagement-Kanon etabliert. Ein weiterer grosser Pluspunkt ist die internationale Ausrichtung des Programms, die als Mehrwert die multiplen Perspektiven der Studierenden von allen Kontinenten sichtbar macht und damit auch stetig neue Fragen an das Kulturmanagement stellt. So erschliessen die Studierenden z. B. in Forumsdiskussionen die verschiedenen Kulturpolitiken ihrer Länder und reflektieren durch entsprechendes Nachfragen auch die ihres Herkunftslandes. Dadurch werden Parallelitäten sichtbar. Es entsteht ein gemeinsamer Reflexionsrahmen, auch für kulturmanageriale Fragestellungen.

Kulturmanagement ist demnach – es kann nicht oft genug konstatiert werden – Veränderungsmanagement, das die Voraussetzungen schafft, um Menschen konstruktiv zusammenzubringen. Denn gerade in Deutschland ist die Angst vor Veränderungen gross, sodass notwendige Transformationen häufig nicht zustande kommen, sondern im Bekanntem verharrt wird, wohlwissend, dass das eigentlich nicht dauerhaft die Lösung sein kann.

Was hier zusätzlich zu berücksichtigen ist: Kunst entsteht nicht durch Vorgaben oder durch Verharren im Status quo, sondern durch Experiment, Netzwerkbildung und Diskursorientierung. Statt ständigem Wachstum, kann hier das Bewusstsein für Andersnutzung, Transformation des Bestehenden und Kraftschöpfung durch Kooperation der richtige Weg sein. All das setzt neben dem bestehenden Kulturmanagement-Kanon – den es kritisch zu durchleuchten, zu modifizieren, zu vernetzen und auch abzuspecken gilt – vor allem nachfolgende Fähigkeiten und Aktivitäten voraus. Diese sollten einen Schwerpunkt der Ausbildung in bestehenden Fächern und/oder neuen Angeboten einnehmen:

> Analyse-, Forschungs- und Interpretationsfähigkeiten, denn Veränderung setzt immer Wissen und Transparenz über die zu bearbeitenden Sachverhalte voraus (z. B. Durchführung von Cultural Mappings, Umfragen, Durchführung von Fokusgruppen).
> Fähigkeiten zum konzeptionellen sowie innovativen Arbeiten und Denken, denn oft müssen aus einer Fülle von vagen Ideen konzise Handlungsvorschläge entwickelt werden – hierzu zählt auch, verborgene Potenziale zu entdecken und zu erschliessen.
> Breite Kenntnis über partizipative und kreative Methoden in der Arbeit mit Klein- und Grossgruppen. Diese sind notwendig, um in der Praxis kooperativ und strukturiert an Zukunftsfragen zu arbeiten.
> Grundlagen im Bereich der Moderation und Mediation, insbesondere Wissen über die Fallstricke und Management-Ansätze in eher konservativen Umfeldern, die am Beginn von Change und Transformationsprozessen stehen.
> Kooperationsmanagement als Transformationsmanagement, denn ein Grossteil der aktuellen Querschnittsthemen und Veränderungsaufgaben sind kooperationsimmanent und brauchen sinnvolle Formen der Zusammenarbeit, um erfolgreich durchgeführt zu werden.
> Ausreichende Kenntnisse über kulturpolitische (Entscheidungs-) Strukturen und die der Kulturverwaltung – insbesondere auch im Feld von Kulturentwicklungsplanung, um den Kontext und Handlungsrahmen besser verstehen zu können oder gar in diesem mitzuwirken.
> Kenntnisse im Feld des internationalen Kulturmanagements (kultureller Austausch/Transfer, transnationale Zusammenarbeit etc.), welches zunehmend an Bedeutung gewinnt.
> Aufzeigen von Möglichkeiten der Spezialisierung in der Wissensgesellschaft.
> Je nach Standort Spezialisierungen in spezifischen Feldern vorantreiben (Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Kulturverwaltung, Dekolonialisierung, Transkulturalität u. v. m.).
> Mehr Angebote auf Englisch oder anderen Sprachen, um den internationalen Diskurs zu befördern, aber auch um neue Zielgruppen zu erschliessen.
> Wieder ein stärkerer Aufbau von Netzwerken mit Partner*innen in der Praxis avisieren, um aktuelle Entwicklungen zu antizipieren, aber auch um Absolvent*innen direkter vermitteln zu können.

Dies ist nur eine erste unvollständige Sammlung an Themen, die voraussichtlich (noch mehr) an Bedeutung in der Kulturmanagement-Ausbildung gewinnen (sollten). Insgesamt könnten die Curricula mehr von den grossen gesellschaftlichen Transformationsfeldern her gedacht werden, um anschlussfähig zu werden und die häufig eher siloartige Aneinanderreihung von Kulturmanagement-Themen aufzulösen und diese sinnvoll miteinander thematisch zu vernetzen. In der Konsequenz könnten auch – weg vom generalistischen Ansatz – noch mehr Standorte mit gewissen Schwerpunkten entstehen und ggf. auch zusätzliche Formate, um wichtige Themen weitergehend vertiefen zu können (z. B. Zertifikatskurse). Insgesamt würde dadurch das Fach – wo sinnvoll – spezialisierter sowie resilienter und agiler, um einige aktuelle Schlagworte zu bedienen.

Gemeinsam voranschreiten

Konkrete und vertiefende Antworten können hier jedoch nicht von einzelnen Personen gegeben, sondern nur im Verbund von vielen Perspektiven aus dem Kulturmanagement und angrenzenden Bereichen entwickelt werden. So gesehen ist dieser Kommentar vor allem ein Plädoyer, kollaborativ an diesen Fragen zu arbeiten, mit einem konstruktiven Blick nach vorne, dem Kulturmanagement den Platz zu verschaffen, den es verdient bzw. sich verdienen könnte. Die Transformation des Kulturbereichs und mit ihm verwobenen Feldern stellt, bei aller Komplexität und den aktuellen Herausforderungen, in erster Linie eine Chance dar: um das Kulturmanagement, da wo nötig, neu zu erfinden und mit einer klaren Haltung im Feld der Kultur zu verorten.

 

Dieser Textbeitrag ist erstmals im Online-Magazin Kulturmanagement.net zum 20. Jubiläumsjahr erschienen: «Kultur weiter denken- 20 Jahre KMN», Nr. 179, Juli/August 2024. Wir danken der Redaktion des KMN für die Publikationserlaubnis.